
Präsidentin der ComCom
Die Telekommunikation und die damit verbundene Infrastruktur sind in unserem täglichen Leben unverzichtbar, nicht nur für die eigentliche Kommunikation, sondern auch für Handel, Mobilität und die öffentliche Sicherheit. Die Entwicklung dieses Marktes wurde lange Zeit den Akteuren der Branche überlassen. Dank der Vorgaben der Grundversorgung reichte dies aus, um eine qualitativ hochwertige Versorgung zu gewährleisten. Aber die Zeiten ändern sich, und mit der Digitalisierung aller gesellschaftlichen Aktivitäten kommt der Bedarf an viel leistungsfähigeren Netzwerken auf.
2016 wurde auf EU-Ebene das Konzept der Gigabit-Gesellschaft mit dem langfristigen Ziel von minimalen Übertragungsraten von 100 Mbit/s für alle Haushalte eingeführt. Zur selben Zeit wurden in der Schweiz die ersten politischen Vorstösse zur Förderung eines Hochbreitbandangebots lanciert (z.B. die Standesinitiative des Kantons Tessin, April 2016). Das Thema war hierzulande in der politischen Diskussion allerdings weniger präsent als in anderen Ländern. Denn die Schweiz verfügte bereits über eine qualitativ hochwertige Infrastruktur, die von verschiedenen Betreiberinnen bereitgestellt wurde. Es bestand keine Dringlichkeit, da das Kupfernetz der historischen Anbieterin dank technologischer Innovation noch leistungsfähiger geworden war und flächendeckend hohe Übertragungsraten erreichte – weit über den für die Grundversorgung erforderlichen Mindestgeschwindigkeiten. Die derzeitigen Netze haben sich im Übrigen während der Corona-Krise als widerstandsfähig erwiesen und neue Formen des Arbeitens und Lernens ermöglicht.
Auch die Leistungsfähigkeit der Telekommunikation über Mobilfunknetze nimmt zu. 5G ermöglicht es, die Anforderungen zu erfüllen, die sich aus den zunehmend mobilen Konsummustern ergeben. Diese neue Technologie hat ihre Wirksamkeit bewiesen und funktioniert mit einem Strahlungsniveau, das noch einmal weit unter den sehr strengen Grenzwerten liegt, die in der Schweiz im Sinne des Vorsorgeprinzips seit Jahrzehnten gelten. Das zeigt der erste Monitoringbericht zu nichtionisierender Strahlung des BAFU, der 2022 publiziert wurde. Diese Feststellungen sollten mithelfen, die Ängste der Bevölkerung zu zerstreuen.
Angesichts der bestehenden Lösungen ist die Frage berechtigt, ob es heute im leitungsgebundenen Bereich notwendig ist, die Mindestleistung der Grundversorgung – als Instrument der gesellschaftlichen Integration – zu erhöhen. Ziel der Regulierung ist es, den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung zu verhindern. Der Blick auf die aktuelle Situation zeigt, dass die Schweiz über komplementäre Netze verfügt, die auf verschiedenen Technologien basieren und die gegenwärtig alle Breitbanddienste anbieten können (Kupfer, Glasfaser, Kabelnetze, Mobilfunk). Die Notwendigkeit der Technologieneutralität wird stillschweigend anerkannt, auch wenn die Aufgabe der ComCom auf die Regulierung des Kupfernetzes beschränkt ist.
Auf Wunsch des Gesetzgebers und des Bundesrates wird die Schweiz ab dem Jahr 2024 eine Grundversorgung mit einer Übertragungsrate von 80 Mbit/s haben, während sich die meisten Länder mit maximal 10 Mbit/s begnügen müssen. Diese Änderung der Grundversorgung ist ein Zwischenschritt auf dem Weg hin zu einer echten Hochbreitbandstrategie, die nicht nur der gesellschaftlichen Integration, sondern auch der Wirtschaftsförderung dient. Wer von Hochbreitband spricht, meint Glasfaserkabel und Mobilfunknetze ab der fünften Generation (5G). Die Schweiz liegt aber im Vergleich zu den OECD-Ländern beim Ausbau von Glasfasernetzen im Rückstand. Dabei sind Glasfasernetze eine Schlüsseltechnologie für eine echte, zukunftsorientierte Hoch¬breitbandstrategie, da die Nachfrage nach Online-Diensten wie Videostreaming, Videokonferenzen oder Cloud Computing ebenso wie die Zahl der Anwendungen, die eine hohe Bandbreite (z. B. im Gesundheitssektor) oder nahezu sofortige Reaktionszeiten (etwa im Sicherheitsbereich) erfordern, heute und insbesondere in Zukunft steigen wird.
Um eine nationale digitale Strategie umsetzen zu können, müssen noch mehrere grundlegende Themen angegangen werden. Dazu zählen die Gewährleistung der Datensicherheit in einer globalisierten Welt, die Transparenz der Herkunft von Algorithmen und ethische Fragen im Zusammenhang mit Tools der sogenannten künstlichen Intelligenz wie Chatbots.
Die Regulierungspolitik im Telekommunikationsbereich in Europa ist einem ständigen Wandel unterworfen. Die Diskussionen drehen sich oft darum, wie die Regelungen angepasst werden können, um Investitionen in die Telekommunikationsinfrastrukturen zu fördern und den Konsumentenschutz zu gewährleisten. Dazu gehören beispielsweise die Bedingungen für die Sicherheit von Telekommuni-kationsnetzen, die in Europa ein immer grösseres Anliegen ist.
Verschiedene Themen sollten bei der Regulierung der Nutzung von zukunftsorientierten Telekommunikationsdiensten berücksichtigt werden. Neue Technologien wie das Internet der Dinge (IoT) und die virtuelle Realität (VR) verändern die Telekommunikationsbranche. Es gilt, Fragen der symmetrischen Kommunikation und der Latenz einzubeziehen, damit die Dienste und die Erfahrung der Nutzerinnen und Nutzer eine echte Integration von digitalen Dienstleistungen in den Alltag ermöglichen, wodurch die Kluft zwischen Stadt und Land und auch zwischen den Generationen verringert wird.
Die Telekommunikationsbranche steht also im Zentrum wichtiger gesellschaftlicher Veränderungen. Dabei sollte die Rolle der ComCom nicht auf diejenige als Regulatorin einer bald überholten Technologiegeneration beschränkt werden. Durch ihre wesentliche Funktion bei der Vergabe von Frequenzen kann sie aktiv zum sozialen Wandel und zur Entstehung einer Gigabit-Gesellschaft in der Schweiz beitragen. Die ComCom, die aus Sachverständigen besteht, setzt sich gerne für eine Entwicklung in diese Richtung ein.
Adrienne Corboud Fumagalli, Präsidentin
März 2023